Das Leben nach dem Krieg

"Was sind das für Menschen?"



Anfang April 1945 besetzten britische Truppen Kirchweyhe. Otto erinnert sich: „Ich brauchte keine Angst mehr zu haben.“ Viele Familien aus dem Heidfeldweg gingen auf die Straße, als sie hörten, dass die Engländer da waren. So auch die Jacobsohns. Draußen traf der Junge eine Nachbarin, die ihm und seiner Familie „immer etwas anhaben wollte und sie beschimpfte“.
Otto erklärt:
Meine Knie begannen zu schlottern, aber sie sagte zu mir: ‚Otto, das musst du doch sagen, wir waren doch immer gut zu dir.‘ Ich sagte nichts dazu. Später habe ich oft über diesen Satz nachgedacht und mich jedes Mal gefragt: Was sind das für Menschen? Viele von den Kirchweyhern schrien damals laut ‚Heil Hitler‘ und waren große Nazis, und dennoch haben sie später behauptet, als sie das Gespräch mit meiner Großmutter suchten, dass sie von Anfang an gegen das Regime gewesen seien. Einige von denen wollten sogar einen ‚Persilschein‘ haben.“

Otto verlor das Vertrauen in die Menschen um sich herum und glaubte niemandem mehr. Ihm war unbegreiflich, dass ein Mensch innerhalb weniger Stunden imstande war, sich so zu verwandeln.

Schulbesuch




Nach dem Kriegsende durfte Otto endlich wieder eine Schule besuchen. Obwohl inzwischen zwölf Jahre alt, konnte er nicht einmal seinen Namen schreiben. Aber er wollte es gerne, und das Lernen fiel ihm leicht.
Seine Großmutter sorgte für Privatunterricht bei Friedrich Winkelmann, dem Leiter der Kirchweyher Schule. „Bei Schulbeginn kam ich dann gleich in die sechste Klasse und hatte nur noch dreimal Privatunterricht pro Woche.“ Innerhalb kurzer Zeit holte er die versäumten Schuljahre auf.
Jeden Tag in der Woche wartete ein volles Programm auf ihn: Schule, Hausaufgaben, private Unterweisungen. Darüber hinaus hatte er noch Konfirmations- und Klavierunterricht. 
Otto sagt: „Es war für mich eine lernreiche Zeit. Üben, üben und nochmals üben! Die Zeit zum Spielen mit anderen Kindern war zwar begrenzt,aber sie war da.“
Bald fand er sich in der 6.Klasse gut zurecht. Somit stellte es auch kein Problem dar, ihn nach etwa einem halben Jahr in die 7. Klasse, die Abschlussklasse der Volksschule, zu versetzen. „Mit dem Privatunterricht war jetzt Schluss. Ich konnte es jetzt alleine schaffen!“ – so Otto. 
„Ich hatte in der Schule nur ein großes Handicap, ich hatte einen ehemaligen Nazilehrer. Da hab’ ich dann jeden Tag Prügel bekommen.“
Otto wohnte nach dem Krieg noch lange in Kirchweyhe. Die anderen taten so, als ob nichts geschehen wäre: „Menschen, die mich vorher bespuckt haben, sahen mich nicht mehr. Ich hatte aber nie Hassgefühle. Nur an der Frau, die mir damals meine Finger im Zug einquetschte, hätte ich mich gerne gerächt, aber meine Großmutter sagte immer, wenn ich das machen würde, wäre ich kein Stück besser als jene Frau. Und sie hatte Recht. So empfand ich Mitleid für diese Menschen, nicht Hass.“

Weitere Etappe in Ottos Leben




Konfirmation
Mit vierzehn Jahren wurde Otto in Kirchweyhe von Pastor Rudloff konfirmiert, zu dem er stets in einem guten Verhältnis stand. Von etwa 1945 bis 1955 gehörte er dem von Rudloff geleiteten Christlichen Verein Junger Männer (CVJM) an.


Gärtnerlehre
Nach der Schule machte er eine Lehre als Gärtner, die er mit neunzehn Jahren als Zweitbester von achtzehn Absolventen abschloss.


Erneute Begegnung mit dem Antisemitismus
Seiner Tätigkeit in verschiedenen Sparten und Betrieben folgten zwölf Jahre als Leiter eines Bremer Gartenbaubetriebes. Doch auch hier sollte ihm die Begegnung mit dem Antisemitismus nicht erspart bleiben: „Eines Tages erzählte mir der Eigentümer, es sei eine Lüge, dass die Juden
im KZ umgekommen sind. Er meinte, die seien alle wieder gekommen oder ausgewandert.“Ein Kunde, der Otto kannte, berichtete dem Mann wenige Zeit später von Ottos Vergangenheit in Kirchweyhe. „Schon am nächsten Tag kam der Eigentümer zu mir und sagte, ohne mir einen Grund zu nennen, ich müsse den Betrieb in einer halben Stunde verlassen“, erzählt Otto. 


Weitere Berufstätigkeit
Danach arbeitete er fünfzehn Jahre lang in einer anderen Firma als Gärtner, wechselte dann jedoch den Beruf und arbeitete einige Jahre im Großhandel eines Bindereibedarfsartikelbetriebs. Die letzten zwölf Jahre bis zur Rente war er im Außenhandel bei Posiwio in Stuhr beschäftigt,wo er etwa 200 feste Kunden im norddeutschen Raum betreute.


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